Tolerante Landfürsten

Marburg 2015. Die Botschaft ist eindeutig: „Homophobie? Nein Danke!“. Ein Konsensthema – könnte man meinen. Da feiert sich die Gesellschaft für ihre Offenheit, schüttelt sich selbst die Hand für ihre Akzeptanz, für ihre Offenheit gegenüber „den Schwulen“, dem Anderen. Es scheint, als ob wir heute ohne Angst vor Negativreaktionen auf die Straße gehen können – es scheint so als ob wir „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ wären. In Marburg gibt es sogar eine Party die nicht durch homophobe Angriffe tangiert wird. Wir werden toleriert und akzeptiert, welch ein Fortschritt. Wir dürfen sein was wir wollen, es ist uns offiziell gestattet.

Doch dann kommt der Eklat: „Homophobie? Nein Danke!“ ist nicht bloß ein Schlachtruf, kein reines Statement, denn es gibt ihn auch auf Aufklebern. Und diese hängen derzeit an vielen Orten in und um das kleine idyllische Städtchen Marburg. Laternen, Ampeln, Straßenschilder und Fassaden sind mit dem Motiv geschmückt, in Kneipen und Cafés ist es auf Tischen und Bänken zu finden, in öffentlichen Gebäuden auf Toiletten, Türen und Fenstern zu sehen. Auf etwa der Hälfte der öffentlich angebrachten Exemplare lässt sich nicht mehr „Homophobie? Nein Danke!“, sondern „Homo               ? Nein Danke!“ lesen. Offenbar gibt es eine erhebliche Zahl von Menschen in dieser Stadt, denen der Grad an Toleranz zu weit geht. Denn tätlich angegriffen werden Homos nicht, aber ihre Propaganda überall verbreiten, das sollen sie dann auch nicht. Toleranz, das Ertragen, Dulden, ist ein Top-Down-Prozess. Die Mehrheit gewährt der Minderheit zu sein, und stört ihre Räume zumindest nicht mehr aktiv. Ertragen also. Ich muss manchmal in Diskotheken schlechte Musik ertragen, oder den Mundgeruch Anderer, Unordnung und Chaos muss ich manchmal ertragen – bis zu einem gewissen Grad. Irgendwann reicht es mir, irgendwann hat meine Toleranz ein Ende. Der Typ mit dem Mundgeruch bekommt dann eine Abfuhr, der Deejay der es einfach nicht drauf hat bekommt ein schlechtes Feedback und dreckige Umgebungen räume ich auf oder betrete sie nicht mehr.

Gleichzeitig wird in universitären Kreisen regelmäßig die Frage diskutiert, ob und inwiefern die autonomen Referate, insbesondere das autonome Schwulenreferat und das autonome Frauen- und Lesbenreferat, Sinn und Berechtigung hätten. Denn Deutschland ist tolerant, es brauche keinen Raum mehr für Schwule und Lesben, die autonomen Referate wären auch nicht aktiv genug und würden somit eine finanzielle Belastung für die Studierenden darstellen, die es einzudämmen gilt. Man wagt kaum zu widersprechen, fühlt man sich doch beinahe wie ein Luxusgut, um dessen Berechtigung gehalten zu werden diskutiert wird. Ein Haustier vielleicht. Denn Hundesteuer ist teuer, außerdem muss man Futter kaufen und hinter ihnen aufräumen.

Ich wage dieses Szenario weiterzuspinnen: Das Schwulenreferat, ein Raum für schwule und bisexuelle Studenten an der Universität Marburg würde aus Effizienz- und Kostengründen vor dem Hintergrund abgeschafft werden, dass wir in einer toleranten Gesellschaft leben. Die „Homo-Lobby“, also sowas wie diese Aufkleber, hätte an der Uni keinen Raum mehr, denn Schutzraum werde nicht mehr benötigt. Gleichzeitig verschwinden immer mehr Signale gegen Homophobie, weitere Aufkleber würden entstellt. Homophobie wird nicht mehr abgemahnt und es gibt keinen Rückzugsraum mehr. Vielleicht liege ich falsch, doch kommen mir Bilder in den Kopf die eben nicht von Gleichwertigkeit zeugen. Wie mit dem Haustier dass man aussetzt. Am Ende ärgert man sich über Streuner auf den Straßen.

Und dann?

Sind wir angewiesen auf tolerante Landfürsten.

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