mit Entsetzen haben wir die Veröffentlichung des diesjährigen Mottos zum CSD der Stadt Frankfurt am Main betrachtet. „LIEB GEIL! Liebe für Alle!“. Der Schriftzug ist visualisiert in der altdeutschen und auch im Nationalsozialismus, und daher von Neonazis gerne verwendeten Frakturschrift und kokettiert mit nationalsozialistischer Symbolik. „Lieb Geil“, so also in Anlehnung an „Sieg Heil!“, soll dazu dienen, sich NS-Symbolik anzueignen und mit eigenen Inhalten zu besetzen.
Der CSD Frankfurt e.V. hat begriffen, dass das Erbe der Nationalsozialist_innen bis heute nicht schweigt. Wir begrüßen daher die Erkenntnis, sich gegen Rassismus und Diskriminierung stellen zu müssen. Die Vorgehensweise, als Motto „LIEB GEIL“ zu wählen, ist jedoch fatal. Es fehlt ihr an Weitblick, Selbstreflexion und Wissen um die eigene historische Verantwortung.
Es ist wahr, dass sich Emanzipationsbewegungen immer wieder erfolgreich gegen in Sprache manifestierte Abwertungen zur Wehr gesetzt haben. So gelang es der Schwulenbewegung sich den Begriff „schwul“ anzueignen, und der Hurenbewegung gelang es sich ebendiese Bezeichnung anzueignen. Voraussetzung dafür ist und war, dass diese Termini sich explizit auf genau diese marginalisierten Gruppen beziehen oder bezogen haben. Sie haben sich das Stigma zu Eigen gemacht. Indem Sprache performativ verwendet und umgedeutet wird, kann es auch gelingen, kulturelle Praktiken zu wandeln und Machtverhältnisse sichtbar zu machen.
Anders verhält es sich jedoch da, wo in Deutschland Nachkommen der Nationalsozialist_innen, und seien sie noch so schwul, sich anmaßen, Täter_innensprache auf diese Weise zu verwenden. Es ist schlichtweg unglaubwürdig, sich das eigene kulturelle Erbe aneignen zu wollen, um sich scheinbar davon abgrenzen zu können; sich selbst auf eine Weise inszenieren zu können, die mit der kulturellen Vergangenheit der heutigen Bundesrepublik Deutschland nichts zu tun habe. Es gibt in der Menschheitsgeschichte keine Gräuel, die mit den Taten der Deutschen während des Nationalsozialismus zu vergleichen wären. Symbolik, die an Völkermord erinnert, eignet sich nicht zur Aneignung, insbesondere nicht NS-Symbolik, reproduziert durch Deutsche. Es gilt in diesem Land, sich der historischen Verantwortung bewusst zu sein. Dazu gehört auch die Verantwortung, Menschen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, ebenso wie die Überlebenden der Shoah und ihre Nachkommen, vor einer (Re-)Traumatisierung zu schützen. Täter_innensprache und NS-Symbolik ist für viele Millionen Menschen sichtbares Trauma. Die immer wiederkehrende Erinnerung daran, dass Millionen Menschen verfolgt, erschossen und vergast wurden.
Im HESSEN IST GEIL! – Kampagnenteam sind verschiedene Menschen tätig. Dazu gehören Kollegen*, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind ebenso wie Menschen mit Behinderungen. Es ist unvorstellbar, dass wir unsere Mitarbeitenden dieser Situation aussetzen; es ist unvorstellbar, dass eine Kampagne, die Antidiskriminierungsarbeit leistet, sich unter diesen Umständen am diesjährigen CSD in Frankfurt am Main beteiligen wird.
Mit dieser Stellungnahme ziehen wir unsere Unterstützung für den CSD in Frankfurt am Main in diesem Jahr zurück.