Schwule und auch alle anderen Männer, die Sex mit Männern haben, inklusive deren Partner*innen sowie Trans*Personen, Menschen in Haft, Drogenkonsumierende und weitere Gruppen sind in Deutschland von der Blutspende ausgeschlossen. Aktuell wird darüber wieder intensiv und emotional diskutiert – in der Community und auch im Bundestag.
Der Blutspendeausschluss schwuler Männer ist falsch – die aktuelle Kritik daran jedoch auch weiterlesenSchlagwort-Archive: Politik
Füreinander! Rede zum CSD Mittelhessen 2019
Der CSD in Marburg war einfach GEIL! Mit über 3000 großartigen Besucher*innen, GEILEM Wetter und einem abwechslungsreichen Programm haben wir alle gemeinsam FÜREINANDER! einen besonderen Ort geschaffen. Danke dafür.
Auf vielfache Bitte möchte ich euch meine Rede zum diesjährigen CSD Mittelhessen in Marburg, der vergangenen Samstag, den 22. Juni 2019 stattgefunden hat, zugänglich machen. Die Rede wird außerdem in Kürze auch als Tonmitschnitt verfügbar sein.
Füreinander! Rede von Tarek Shukrallah zum CSD Mittelhessen 2019
Herzlich Willkommen zum CSD Mittelhessen 2019 in Marburg!
Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam diese Stadt fluten. Seit 22 Jahren hat Marburg keinen Christopher Street Day gesehen. 22 Jahre ist es her, dass wir, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Intersexuelle, dass wir – Perverse – gezeigt haben, dass wir hier zuhause sind. Dass das auch unsere Stadt ist, dass wir ein unverzichtbarer und heute endlich so strahlend sichtbarer Teil dieser Stadt sind.
Darum freue ich mich aus ganzem Herzen, dass ich mit euch auf diesem Marktplatz stehen kann. Dass sich das so selbstverständlich anfühlt, hier zu stehen, zu sprechen, gehört zu werden – das ist eigentlich eigenartig. Es ist eigenartig, weil ich nicht weiß bin. Es ist eigenartig, weil ich nicht heterosexuell bin. Es ist eigenartig, weil ich mit der mir zugewiesenen Geschlechterrolle herzlich wenig anfangen kann.
Es ist deshalb eigenartig, weil ein Platz wie dieser für Macht und Herrschaft steht. Und es ist eigenartig, weil auch dieser Marktplatz eine Geschichte hat; weil dieser Marktplatz vor über siebzig Jahren eben keine Regenbogenflaggen sondern Hakenkreuze trug und wenige Meter von hier entfernt auch heute noch neue rechtsradikale Eliten unbehelligt ihr Werk tun können. Es fühlt sich merkwürdig an, dass ich, ein Schwuler mit arabischem Namen hier stehen kann während es sehr wahrscheinlich ist, dass in dieser Oberstadt sogenannte „Homoheiler*innen“ ihr Werk getrieben haben – oder es immer noch treiben.
Ich weiß, und ihr wisst das auch, dass ich hier nur stehen kann, weil dafür Menschen auf die Straße gegangen sind. Ich kann hier stehen, reden, kann demonstrieren, weil es Menschen gibt und gab die gegen den Hass und für ihre Anerkennung auf die Straße gegangen sind.
Ich kann rufen, weil andere vor mir schreien mussten. Ich kann sprechen, weil andere vor mir den Mund geöffnet haben. Ich kann so unverschämt sichtbar sein, weil andere vor mir sichtbar waren.
Wie viele von euch wissen, jähren sich in diesem Monat die Stonewall-Riots zum 50sten Mal. Vor fünfzig Jahren haben sich vornehmlich Schwarze Trans*frauen, die Prostituierte waren, die auf der Straße lebten, gemeinsam gegen Polizeigewalt gewehrt. Sie wehrten sich stellvertretend für uns alle gegen den Hass und die Erniedrigung, gegen Gewalt und Diskriminierung. Als in der Nacht des 27. Juni 1969 Polizeibanden eine Razzia auf die Stonewall-Inn, eine Kneipe und traurige letzte Zufluchtsstätte vieler Queers durchführten, sind diese Leute aufgestanden. Sie sind aufgestanden und haben sich gegen das System widersetzt, dass uns alle schon zu lange unterdrückt. Sie haben gezeigt: Man kann uns vieles nehmen: Aber nicht unsere Integrität, nicht unseren Stolz.
Die Tage nach dem 27. Juni sind als Stonewall Riots in die Geschichte eingegangen. Es sind Tage gewesen, in denen sich Obdachlose, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Stricher Trans* und Intersexuelle, Schwarze Menschen, und Prostituierte Straßenschlachten mit einem System geliefert haben, dass sie einfach nur bekämpft hat, einfach weil sie existieren. Diese Kämpfe haben weite Teile dieser Erde für immer verändert denn sie waren der Grundstein für unzählige weitere Emanzipationskämpfe. Sie sind auch unser Grundstein. Die Grundsteine unserer Bewegung wurden nicht gesetzt, sie mussten geworfen werden. Sie wurden auf der Christopher-Street in New York geworfen, auf dass wir alle eines Tages ein besseres Leben haben dürften.
Wenn wir heute hier stehen können, feiern dürfen, dann haben wir das Menschen wie Marsha ‚Pay It No Mind‘ Johnson zu verdanken, die in der Nacht in der Stonewall Inn aufgestanden sind, sich gewehrt haben. Marsha `P` Johnson hat vielen Menschen ein Zuhause gegeben, die wegen ihres Andersseins aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren, die von ihren Eltern verstoßen wurden. Marsha `P`Johnson war eine schwarze transgeschlechtliche Prostituierte. Marsha hat für ihren Kampf mit dem Leben bezahlen müssen.
Ich stehe hier mit einer etwas ungewöhnlichen Regenbogenfahne. Es ist die Fahne, die zeigt: Unsere Geschichten wurden zu oft nur weiß gemacht. Es ist Zeit, dass wir das anerkennen. Es ist Zeit, dass wir Menschen wie Marsha P Johnson anerkennen. Stonewall was a riot! Der Schwarze und der Braune Streifen meiner Regenbogenfahne stehen repräsentativ dafür, dass wir die Kämpfe und Leben unserer nicht-weißen Communitymitglieder anerkennen, sichtbar machen, und ihnen den Rücken stärken.
Das Motto des diesjährigen CSD Mittelhessen lautet „Füreinander!“ Füreinander heißt, dass wir zusammenstehen, für einander einstehen, uns gegenseitig den Rücken freihalten. Füreinander heißt, dass wir niemanden zurücklassen. Füreinander! ist nicht romantisch, sondern die Einsicht in die Tatsache, dass wir einander brauchen. Wir brauchen einander, weil wir nur gemeinsam eine realistische Chance haben, dass diese Welt irgendwann ein bisschen besser ist. Wir brauchen einander, damit irgendwann auf dieser Welt mehr Platz für Menschen wie uns ist.
Es fühlt sich merkwürdig an, dass wir hier stehen können, sprechen können, sichtbar sind, während tausenden Kids in den Schulen und Zuhause auch heute noch von Kleinauf beigebracht wird: Wenn Mädchen Mädchen lieben, dann ist das schlecht. Weil Kindern, die nicht weiß sind, auf dem Schulhof und im Klassenzimmer grauenhafte Dinge angetan werden. Weil Kleinstkindern, deren Genitalien nicht der zweigeschlechtlichen Norm entsprechen, für immer das Leben ruiniert wird, indem man sie verstümmelt.
Füreinander! Das heißt, dass wir für diese Kinder da sind. Es heißt, dass wir für sie und ihre Zukunft eine Verantwortung haben.
Füreinander! Das heißt auch, dass wir unsere Alten, die dafür gekämpft haben, dass wir nun hier feiern können, nicht in heterosexuellen Altersheimen vergessen und versauern lassen, auf dass sie im Alter wieder gezwungen werden sich zu verstecken. Wir können und dürfen nicht zulassen, dass unser Fundament vereinsamt verstirbt.
Füreinander bedeutet übrigens uneingeschränkt, laut und deutlich:
Refugees Welcome!
Während Europas weißer Mittelstand sich mit von Kindern genähten Regenbogenturnschuhen für seine Offenheit feiert, ertrinken und verdursten Menschen auf der Flucht ohne jede Hilfe. Mehr noch: Helfen wird in Europa 2019 kriminalisiert. Gleichzeitig wird das Mittelmeer zum Massengrab einer menschlichen Katastrophe.
Wer es dennoch hier her schafft wird in dieser Gesellschaft oft mit Kälte und Hass begrüßt. Wie kann es sein, dass in Chemnitz Rechtsradikalen vom Verfassungsschutz dabei hofiert wird, dass sie ungestraft Hetzjagden auf nicht-weiße Menschen verüben können?
Wie kann es sein, dass Menschen, die fliehen mussten, unter erbärmlichen Bedingungen in Sammellagern zusammengepfercht werden? Wie kann es sein, dass an der Grenze zu diesem Land Lager für Flüchtende errichtet werden, in denen sie quasi entrechtet sind?
Darum unterstützen weite Teile unserer Communities schon lange geflüchtete Menschen. Gerade geflüchtete LGBT*IQ brauchen uns und unsere Unterstützung. Wir brauchen mehr sichere Unterkünfte, bessere Versorgungsstrukturen und eine Community, die sie mit offenen Armen aufnimmt.
Der Christopher-Street-Day steht für alle diese Dinge. Der Christopher Street Day ist ein Fest der Solidarität!
Aber ein Christopher-Street-Day ist noch viel mehr. Indem wir uns heute sichtbar machen, und uns diesen Raum nehmen, zeigen wir, dass Solidarität lustvoll ist. Wir zeigen, dass wir lustvoll sind. Wir zeigen, dass alle unsere Körper genau richtig sind, dass wir sexy sind. Es geht uns um nicht weniger als die Freiheit zu sein wer wir sind, zu lieben und zu vögeln wie und so viel wie wir wollen. Fuck with us, don’t mess with us! Oder auch: Füreinander! Heißt auch Verführt einander!
Füreinander! Heißt, dass wir Verantwortung übernehmen. Es heißt, dass wir zeigen wie es besser geht. Dass wir die Kälte und den Hass nicht mittragen. Wir sind Schwarze und People of Color. Wir sind Lesben, und Bisexuelle. Wir sind Schwule und Prostituierte. Wir sind Behindert und wir haben HIV. Wir sind die Perversen. Das ist großartig.
Lasst uns heute unverschämt und unerträglich sichtbar sein.
Happy Pride!
„Ein Raum, der Platz zum Feiern, Austausch, und Freude bietet.“
(von Tarek Shukrallah)
Am 3. Februar findet im Marburger Kulturzentrum Café Trauma nach einer sehr langen Pause wieder eine „CHEER QUEER-Party“ statt. Wir sprachen mit Käthe Völsch über den Neustart eines in unserer Region einzigartigen Projektes, über Queerness und Sektempfänge. „Ein Raum, der Platz zum Feiern, Austausch, und Freude bietet.“ weiterlesen
Alte Strukturen aufbrechen
Gesellschaftlich konservative Normen wieder anprangern
In der Marburger AIDS-Hilfe ging es bei einer Podiumsdiskussion am Nikolaustag vor allem um das verstaubte Konstrukt der Ehe und den Dissens zwischen „Ehe für alle“ und emanzipatorischer Queer-Bewegung.
Von Yannic Bakhtari
Marburg. War’s das jetzt? „Ehe für alle“ durchgesetzt und Diskriminierung von queeren Menschen hört mit einmal auf? Nein, denn die Ehe bleibt, egal für wen, zutiefst konservativ, sagen die Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion „Ehe für alle – war’s das?“. Alte Strukturen aufbrechen weiterlesen
Toleranz und Akzeptanz: Lasst uns darüber nachdenken!
(von Tarek Shukrallah)
In einem früheren Artikel, „Tolerante Landfürsten“, ging es darum wie lange für uns das Konzept Toleranz funktionieren kann – und wie nachhaltig es ist auf das Ertragen Anderer zu hoffen. Die Frage die sich stellt ist ob ein Kampf darum mit seiner Abweichung von der Norm in der „Mitte der Gesellschaft“ ankommen zu wollen überhaupt wünschenswert ist. Kann es wirklich ein Wunsch von uns sein, gemocht zu werden, „obwohl“ wir schwul sind? Und: Welchen Mehrwert hat dagegen das Konzept der Akzeptanz? Oder sind das, Toleranz und Akzeptanz, nicht etwa doch nur zwei Seiten einer Medaille? Und wenn: Ist es eine Medaille der Antidiskriminierung und des Fortschritts, oder ist der Vorwurf berechtigt, dass auch die Akzeptanz nur durch Assimilation funktioniert und in einem schönen Gewand mit der Gerechtigkeit kokettiert?
Wir wollen mit euch darüber nachtanzen: In den nächsten Wochen werden wir uns verstärkt mit verschiedenen Meinungen zu Freiheit und Assimilation bzw. insbesondere mit den geflügelten Begriffen „Akzeptanz“ und „Toleranz“ auseinandersetzen. Und wir wollen eure Meinung hören! Schickt uns eure Statements und Meinungen – sagt uns was ihr dazu denkt!